Die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus steht erst am Anfang: im Gespräch mit Tahir Della von Decolonize Berlin

April 18, 2023

Im Dezember 2020 wurden in Berlin aus dem Nachtigalplatz der Manga-Bell-Platz und aus der Lüderitzstraße die Cornelius-Fredericks-Straße: Die Ehrung von Kolonialverbrechern hat also an diesen zwei Orten ein Ende. Aber „es gibt aber noch vieles zu tun“, sagt Tahir Della, die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus ist noch lange nicht erledigt. Im Gegenteil, die Umbenennung muss erst der Anfang sein.

Tahir Della hat über das Buch „Farbe Bekennen“, das 1986 erschien, in den Aktivismus gefunden. Dass Schwarze Frauen aus Deutschland ihre Erfahrungen autobiografisch niederschreiben, war damals völlig neu und für Della inspirierend. Heute ist er schon lange bei der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland aktiv, in dessen Vorstand er bis 2019 war, sowie in dem Bündnis decolonize Berlin, das sich genau diese Arbeit zur Aufgabe gemacht hat: Deutschen Kolonialismus in der Hauptstadt und darüber hinaus sichtbar zu machen und diejenigen in Machtpositionen kontinuierlich zur Aufarbeitung anzuhalten.

Ein Gespräch über deutschen Kolonialismus, wie die Politik Aufarbeitungsprozesse besser machen muss und über wirtschaftlichen Neokolonialismus.

Tahir, gerade ist das mediale Interesse an eurer dekolonialen Arbeit sehr groß. In Berlin wurden endlich zwei Straßen umbenannt, die die Namen von Kolonialverbrechern trugen. Seid ihr zuversichtlich oder habt ihr auch Sorge vor einer möglichen unionsgeführten Regierung in Berlin?

Vor noch nicht allzu langer Zeit war es so, dass die Berichterstattung häufig über uns, über Kolonialismus stattgefunden hat und nicht mit uns. Das ändert sich seit einiger Zeit, das, was die Aktiven zu sagen haben, wird wahrgenommen und wir werden gehört. Wir werden entsprechend mehr eingebunden in die Prozesse zum Umgang mit kolonial belasteten Straßen und erhalten dadurch auch mehr Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema. So entstehen kritische Beiträge, die davon getragen sind, dass sich die Stadtgesellschaft ernsthaft und umfassend mit der Dekolonisierung des öffentlichen Raumes beschäftigt. Und natürlich gibt es gleichzeitig auch jene, die nach wie vor gegen unsere Arbeit poltern, aber das sind dann ganz bestimmte Medienhäuser. Es wird sich zeigen, ob eine unionsgeführte Landesregierung unsere Arbeit wieder erschweren könnte. Ich glaube es jedoch nicht.

Weshalb nicht?

Eine Regierung kann diese wachsenden Bewusstseinsprozesse nicht aufhalten. Deutscher Kolonialismus ist ein historisch und politisch wichtiges Thema. Berlin war für den deutschen Kolonialismus die Hauptstadt der Machtzentrale, es wurde sich hier immer schon viel mit dem Thema beschäftigt. Wir machen nur die Kehrseite sichtbar, ergänzen die Stadtgeschichte. Und diese Prozesse – nach so vielen Jahrzehnten – brauchen Zeit, sind nicht nach drei, vier Jahren erledigt. Es gibt viele Projekte, an denen gearbeitet wird: Aufarbeitungskonzepte, Jahresberichte, ein Gutachten zu menschlichen Gebeinen, ein Gutachten zu wissenschaftlicher Forschung. Die werden vom Regierungswechsel nicht gestoppt werden können.

Viele Berliner:innen haben damals in der Schule wenig zu Kolonialismus gelernt und gar nichts zu dem deutschen Kolonialismus. Gibt es auch hier Prozesse in die richtige Richtung?

All diese Ergebnisse die aus den zahlreichen Gutachten, Publikationen, Projekten und Interventionen sind eine wichtige Grundlage auch für Lehrpläne an Schulen. Aber Lehrkräfte haben darüber hinaus ja auch noch mehr Möglichkeiten: Schulklassen können zu Führungen in Museen gehen, Workshops anbieten oder bei den NGO der afrodiasporischen Communities anfragen. Das Spannende ist nämlich, dass bedingt durch den momentanen öffentlichen medialen Diskurs viele junge Leute sehr interessiert daran sind, genauer hinzuschauen, wie die gegenwärtigen Entwicklungen auch mit der kolonialen Vergangenheit zusammenhängen. Sie sehen Leerstellen, fragen nach dem Wieso, Weshalb, Warum und beteiligen sich an Prozessen und Aktivitäten.

Das ganze Interview gibt es bei reversed magazine.

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